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An
den Landesvorstand der SPD Baden-Württemberg
die Vorsitzenden der SPD Kreisverbände Freiburg, Karlsruhe, Mannheim, Stuttgart, Ulm, Esslingen
die Vorsitzenden der SPD Gemeinderatsfraktionen in Freiburg, Karlsruhe, Mannheim, Stuttgart, Ulm, Esslingen
den Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Regionalverband Stuttgart
Stuttgart, 21. Februar 2012
Liebe Genossinnen, liebe Genossen,
wir wenden uns an euch als „einfache“ SPD Mitglieder (40 Jahre bzw. 29 Jahre), die über das Abstimmungsverhalten der Repräsentanten unserer Partei beim Verkauf der LBBW-Immobilien tief enttäuscht sind.
Wenn der SPD-Landesvorsitzende wissen lässt, dass die Verkaufsentscheidung zum operativen Geschäft des LBBW Vorstandes zählt, dann wird offensichtlich, dass sich die SPD Vertreter im Aufsichtsrat von den Bankern haben über den Tisch ziehen lassen.
Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass Eigentümer über Grundsätze und Werte entscheiden. 40 Prozent der LBBW-Anteile gehören dem Land, mit der Stadt Stuttgart gemeinsam hätte es die Chance für eine andere Mehrheit gegeben. Eine Landesregierung, die sich der nachhaltigen und sozialen Entwicklung des Landes verschrieben hat, darf nicht zulassen, dass über 20.000 zum größten Teil ehemals öffentlich geförderte Wohnungen an einen Bieter verkauft werden, der bislang vor allem als Wohnungshändler und Umwandler aufgetreten ist. Die Höhe des Kaufpreises kann für Aufsichtsratsmitglieder einer Bank, die sich im öffentlichen Besitz befindet, nicht das einzige Kriterium der Verkaufsentscheidung darstellen.
Der Verkauf der LBBW-Immobilien GmbH an den Wohnungshändler Patrizia zeigt eine große Glaubwürdigkeitslücke der grün-roten Landesregierung, insbesondere aber unserer Partei, auf. Denn die grünen Wähler wohnen in der Regel nicht in ehemaligen Sozialwohnungen, wohl aber unsere Wähler. Von dem angekündigten Paradigmenwechsel in der Wohnungspolitik ist nichts zu erkennen. Es ist verständlich, wenn Mieter deshalb sagen, wir hatten zwar einen Regierungswechsel, aber keinen Politikwechsel.
Das Angebot der beiden Bieter hinsichtlich der sozialen Absicherung der Mieter ist keineswegs gleich, wie dies fälschlich von Nils Schmid behauptet wird.
- Das Konsortium sicherte den Schutz der Mieter vor Eigenbedarfskündigungen für 20 Jahre zu, Patrizia nur für 10 Jahre also eine Verdoppelung der Sicherheit für die Mieter, nicht durch Käufer ihrer Wohnungen verdrängt zu werden.
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- Bei den Instandhaltungsinvestitionen der nächsten Jahre ging das Konsortium um 70 Mio. Euro über Patrizia hinaus, was ein Herunterkommen der Wohnungen verhindert hätte.
- Das Konsortium sagte verbindlich zu, die 6ooo Sozialwohnungen im Bestand nicht vorzeitig abzulösen und damit den Kommunen die Belegungsbindungen und den Mietern günstige Sozialmieten zu erhalten. Von Patrizia gibt es hierzu keine Zusage.
- Das Konsortium sicherte zu, den Gesamtbestand an Wohnungen in Baden-Württemberg (zurzeit 20.000) bei 18.000 für die nächsten 20 Jahre zu halten. Patrizias Zusagen gehen nicht über die Ausschreibung hinaus, welche zulässt, dass in den nächsten 5 Jahren schon 5000 Wohnungen verkauft werden und danach keinerlei Verkaufsbeschränkung mehr vorsieht.
Die „Sozialcharta“, die Bestandteil des Kaufvertrages ist, wurde bisher nicht im Wortlaut veröffentlicht. Nach den dem Deutschen Mieterbund vorliegenden Informationen gehen die Bestimmungen der Sozialcharta kaum über den gesetzlichen Mieterschutz hinaus, weshalb die freiwilligen sozialen Zusicherungen des Konsortiums und die Sperrminorität der Stadt
Stuttgart besonders gewichtig sind.
So klingt die Regelung der Charta zur Mieterhöhung wie Hohn:
Die durchschnittlichen (!) Mietsteigerungen werden auf 3 Prozent zuzüglich Inflation begrenzt. Das Statistische Landesamt beziffert die Teuerungsrate Januar 2011 bis Januar 2012 auf 2,2 Prozent. Dies bedeutet, dass der durchschnittliche Mieterhöhungsspielraum für Patrizia 5,2 Prozent im Jahr beträgt. Das ist mehr als fünf Mal soviel wie die Mieten im Landesdurchschnitt steigen.
Das Statistische Landesamt hat auch festgestellt, dass im Landesdurchschnitt die Mieten von Januar 2011 bis Januar 2012 um 0,9 Prozent angestiegen sind. Wohnen in LBBW Wohnungen wir also spürbar teurer werden. Dies werden auf längere Sicht alle Mieter spüren bekommen, denn die teuren Patrizia-Mieten werden die Vergleichsmieten in die Höhe treiben.
Eine Verpflichtung zur Mitwirkung an der Stadtentwicklung sieht die „Sozialcharta“ überhaupt nicht vor. Welche Folgen es für die Stadtentwicklung hat, wenn ein allein an der Rendite orientiertes Unternehmen Wohnungen betreibt, erfährt zurzeit die Stadt Heidenheim.
Das Baden-Württemberg Konsortium bestand aus fünf Partnern, die alle aus Baden-Württemberg stammen und was viel wichtiger ist, die sich alle auf den baden-württembergischen Wohnungsmärkten als solide Bestandshalter mit sozialer Verantwortung bewährt hatten. Der Hauptgesellschafter (59,9 Prozent), die Gesellschaft für Wohnungs- und
Gewerbebau Baden-Württemberg AG (GWG) ist als verlässlicher Partner der Städte bei der Stadtentwicklung bekannt.
Zusammen mit den drei anderen Wohnungsunternehmen, der Bietigheimer Wohnbau GmbH, der Flüwo Bauen Wohnen eG und der GSW Sigmaringen (jeweils fünf Prozent) und der Landeshauptstadt Stuttgart (25,1 Prozent) legte das Konsortium ein langfristiges Konzept vor, das die dauerhafte Sicherung der Immobilien beinhaltete.
Das Konsortium legte eine wertorientierte Instandhaltungs- und Modernisierungsstrategie vor, das die energetische Sanierung zur Verbesserung der Energieeffizenz einschloss. Ein Kernpunkt der Konzeptes war es, allen Mietern der LBBW-Immobilien weiter das Leben und
Wohnen in Ihrem Zuhause mit bezahlbaren Mietpreisen zu ermöglichen. Vertraglich war im Konsortium vereinbart, dass die Festlegung der Modernisierungsplanung, der Investitionen und der Finanzplanung nicht gegen die Sperrminorität der Stadt Stuttgart erfolgen sollte.
Damit wäre auf Dauer der Einfluss der Kommune auf eine sozial gestaltete Geschäftspolitik mit den Wohnungen gesichert worden.
Das Patrizia Konsortium besteht aus Kapitalanlegern und einem Wohnungsunternehmen, das bislang in Baden-Württemberg gar nicht aufgetreten ist. So lässt sich Patrizia nur aus seiner bisherigen Tätigkeit beurteilen: In der eigenen Internetdarstellung stellt sich Patrizia
offen als Wohnungsvermarkter vor und rühmt sich, Wohnungsbestände, die aufgekauft wurden, in kurzer Zeit privatisiert zu haben.
In München, wo Patrizia bereits tätig wurde, machte der Mieterverein die Erfahrung, dass Patrizia als Umwandler und Wohnungsvermarkter auftritt, der Mieterhöhungsspielräume voll ausschöpft und bei der Instandhaltung spart. Es verwundert nicht, dass ein wohnungspolitisches Konzept für die nachhaltige Bewirtschaftung des LBBW Immobilienbestandes nicht bekannt ist.
Grün-Rot kann sich auch sich nicht hinter der Behauptung verschanzen, die EU-Kommission habe festgelegt, dass die Wohnungen nur an das Höchstgebot verkauft werden dürfen.
Die Selbstverpflichtung der LBBW zum Verkauf ihrer Holdings vom 21.7.2010 lautete: „LBBW will sell in the best way possible the following holdings…“, also „wird auf dem besten möglichen Weg verkaufen“. (Offical Journal of the European Union L188/7).
Vom bestmöglichen Preis, den der Vorstand nun erzielt hat, war in der von der EU Kommission akzeptierten Selbstverpflichtung dagegen nie die Rede.
„Der Zuschlag muss nicht an den Höchstbietenden gehen“, zitierten die Stuttgarter Nachrichten die Sprecherin von EU-Wettbewerbskommissar Almunia noch einen Tag vor der fatalen Verkaufsentscheidung, bei einem solch geringen Preisunterschied.
Wenn eine grün-rote Regierung in ihrem Koalitionsvertrag konkrete Kriterien definiert, die ein potenzieller Käufer erfüllen muss, nämlich:
- Sozial verantwortlich
- Nachhaltige Bewirtschaftung
- Sozialer Schutz der Mieter
- Erfahrung auf baden-württembergischen Wohnungsmärkten
- Bereits als verlässlicher Partner der Kommunen engagiert.
und dann nicht verhindert, dass die Wohnungen an einen Bieter verkauft werden, der kein einziges dieser Kriterien erfüllt, dann hat diese Regierung und damit unsere Partei ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Damit die SPD für Mieterinnen und Mieter wählbar ist, müsste der Wechsel in der Wohnungspolitik auch zu spüren sein. Es dürfte nicht bei Ankündigungen und falschen Verkaufsentscheidungen zu Lasten der Mieter bleiben. Die Mieter müssten erkennen können, dass sie in der SPD einen verlässlichen Partner haben, als „Schutzmacht der kleinen Leute“ und
nicht als Erfüllungsgehilfe eines Bankvorstands für dessen höchst möglichen Verkaufsertrag.
Es erfüllt uns mit Neid aber auch gewisser Bitternis, dass die in Bayern regierende CSU für die dort zum Verkauf stehenden Wohnungen im Besitz der Bank eine soziale Lösung im Interesse der Mieter und Kommunen finden will.
Mit freundlichem Gruß
Rolf Gaßmann Udo Casper