Artikel der Böblinger Kreiszeitung Mittwoch 08.12.2010
Von Otto Kühnle

SINDELFINGEN. Es waren nahezu alles treue Genossen, die im Sindelfinger Odeon Franz Müntefering lauschten, als er das Thema Demografie aus sozialdemokratischer Sicht durchdeklinierte. Und wer sich von denen an den Auftritt des SPD-Vordenkers im Deufringer Schlosskeller 2004 erinnerte, als er die Agenda 2010 verkaufte, sah nicht nur einen roten Schal. Er musste auch keine geistige Wende vollziehen. Denn der Ex-Vizekanzler und Arbeitsminister blieb sich im Kern treu: Ohne längere Lebensarbeitszeit ist die Herausforderung einer alternden Gesellschaft nicht zu stemmen.

„ Die Grundüberzeugung ist unverändert“ , machte der Ex-Parteichef deutlich, dass die Arbeitsmarktreformen der Regierung Schröder richtig waren. Was unter dem Negativ-Begriff von Hartz IV den Sozialdemokraten auf die Füße fiel, sieht aus seiner Perspektive positiv aus: „ Wir haben 700 000 Sozialhilfeempfänger zu Arbeitslosen gemacht, da sie mehr als drei Stunden arbeiten konnten.“ Heute habe man schließlich eine Million weniger Arbeitslose als 2006. Natürlich sei das Konzept des Fördern
und Fordern eine „ anstrengende Konstruktion“ . Was die SPD aber in der Finanzkrise gemacht habe, da sei er „ voller Stolz“ , schließlich sei es Steinbrücks Verdienst, dass Deutschland so gut dastehe, Olaf Scholz als Arbeitsminister habe das mit der Kurzarbeit prima hingekriegt. Dass die aber trotz der Finanzkrise und ihren Weichenstellungen so wenig

von ihrer Politik profitiert, nimmt er schulterzuckend zur Kenntnis, ironisiert: „ Wir haben ja keine Sendezeit“ . Wenn er sich aber eine Stunde hinstelle wie in Sindelfingen, „ sind viele, die sagen, das ist richtig, was der sagt“ . Er will aber auch der Partei keine Illusionen geben, es gelte, „ die richtigen Fragen zu stellen“ .

Und entgegen den Vorstellungen der regierenden Parteien werde es mit der SPD sozialstaatliche Lösungen geben. So mit einer Bürgerpflegeversicherung, die das Nebeneinander von privater und gesetzlicher Vorsorge vereine. Der Mehrheit müsse man deutlich machen, dass „ da Sauereien passieren“ kritisiert er den Trend zu mehr privater
kapitalgedeckter Vorsorge. Kein Roll-back der Hartz-Gesetze also mit Müntefering?

„ Ich bin doch wegen Schröder und Müntefering in die SPD eingetreten, wie viele Junge auch“ , gibt Florian Wahl dem alten Hasen da die Spur vor. Der Landtagskandidat wie der Abgeordnete Tobias Brenner fühlen sich von dem prominenten Urgestein bestätigt. Jetzt müssen es nur
noch die Wähler mitbekommen. Denn in Sindelfingen waren es nur knapp zwei Dutzend, die dem Mann mit dem roten Schal lauschten.